Monatsandacht November 2025

„Ich will das Verlorene wieder suchen
und das Verirrte zurückbringen
und das Verwundete verbinden
und das Schwache stärken. “

Hesekiel 34,16 nach der Luther 2017

Menschlichkeit_Rüdiger Kopatschek

Liest man den Vers für den Monat November nach der Lutherbibel, stößt man auf eine vertraute Botschaft: Gott wendet sich dem Verlorenen, Verirrten und Verwundeten zu.

Kennen wir.
Wer halbwegs mit biblischen Texten vertraut ist, den überrascht diese Aussage nicht.

Monatssprüche haben es aber manchmal in sich. Besonders dann, wenn sie Entscheidendes weglassen. Der Vers geht nämlich folgendermaßen weiter: „Was aber fett und kräftig ist, werde ich vernichten; ich werde sie weiden und für Recht sorgen.“ So unverblümt die Zürcher Bibel. In der Lutherübersetzung 2017 ist immer noch zu lesen, dass Gott auch das Starke und Fette behüten will. Das ist eine Interpretation, die am hebräischen Begriff und am gesamten Kapitel 34 des Buches Ezechiel vorbeigeht. Dem Prophet Ezechiel zufolge will Gott das in diesem Fall nämlich nicht. Der Grund dafür ist eine eklatante Ungerechtigkeit: Benachteiligte, Arme, Kranke, Menschen mit schlechten Ausgangsbedingungen werden um ihr Recht gebracht. Mit wechselnden Bildern macht der Propheten schonungslos auf ein massives gesellschaftliches Ungleichgewicht aufmerksam. Es gibt Hirten, die sich selbst weiden, das fette Fleisch und die Wolle für sich behalten (Hesekiel 34,3-4). Und es gibt gut genährte Schafe, die den anderen die Weide zertrampeln und das klare Trinkwasser verunreinigen (Hesekiel 34,18-19).

Gier, rücksichtsloser Eigennutz, Gleichgültigkeit – eine unselige Melange aus diesen Antreibern bringt Menschen dazu, rücksichtslos im Übermaß für sich selbst zu sorgen. Auf Kosten anderer. Eine Selbstbezogenheit, die vor allem um sich kreist, alles für sich will, stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist, nervt Gott. Deswegen will er das Fette vernichten und für Recht sorgen.

Starke Worte!
Welche davon gelten mir?

Die gute Nachricht: Gott selbst nimmt sich seiner Herde an. Damals so, dass er die Hirten, die sich selbst weiden durch den König David und seine Nachfolger ersetzt. Ihre Herrschaft wird daran gemessen, inwieweit sie für Recht und Gerechtigkeit sorgen. Auch heute nimmt sich Gott seiner Herde an. Und er freut sich über Leute, die barmherzig und großzügig Andere im Blick haben; die von Herzen gerne geben; die nicht an den eigenen Vorteil denken, sondern das Wohl anderer fördern; die Selbstbezogenheit durch Menschenfreundlichkeit ersetzen. Kurz: die eigenen Besitz und ihre Möglichkeiten nutzen, um anderen in Schwierigkeiten und Not zu helfen. Diese Menschlichkeit ist ganz in Gottes Sinn.

Jetzt weiß ich, welche Worte mir gelten.
Und du?

Prof. Dr. Oliver Pilnei

Prof. Dr. Oliver Pilnei
Praktische Theologie

Theologische Hochschule Elstal