Andachten

Andachten können für die Seele, wie eine Oase in der Wüste sein.
Sie lassen uns innehalten, schenken uns einen Augebblick der Ruhe.
Sie lenken den Blick weg, aus unserem Alttagsgeschehen, in eine andere Welt, die ewige Welt.
Sie sind wie frisches Wassser, welches das Leben in uns zurückkehren lässt und unseren Durst stillt.

 

Monatsandacht November 2025

„Ich will das Verlorene wieder suchen
und das Verirrte zurückbringen
und das Verwundete verbinden
und das Schwache stärken. “

Hesekiel 34,16 nach der Luther 2017

Menschlichkeit_Rüdiger Kopatschek

Liest man den Vers für den Monat November nach der Lutherbibel, stößt man auf eine vertraute Botschaft: Gott wendet sich dem Verlorenen, Verirrten und Verwundeten zu.

Kennen wir.
Wer halbwegs mit biblischen Texten vertraut ist, den überrascht diese Aussage nicht.

Monatssprüche haben es aber manchmal in sich. Besonders dann, wenn sie Entscheidendes weglassen. Der Vers geht nämlich folgendermaßen weiter: „Was aber fett und kräftig ist, werde ich vernichten; ich werde sie weiden und für Recht sorgen.“ So unverblümt die Zürcher Bibel. In der Lutherübersetzung 2017 ist immer noch zu lesen, dass Gott auch das Starke und Fette behüten will. Das ist eine Interpretation, die am hebräischen Begriff und am gesamten Kapitel 34 des Buches Ezechiel vorbeigeht. Dem Prophet Ezechiel zufolge will Gott das in diesem Fall nämlich nicht. Der Grund dafür ist eine eklatante Ungerechtigkeit: Benachteiligte, Arme, Kranke, Menschen mit schlechten Ausgangsbedingungen werden um ihr Recht gebracht. Mit wechselnden Bildern macht der Propheten schonungslos auf ein massives gesellschaftliches Ungleichgewicht aufmerksam. Es gibt Hirten, die sich selbst weiden, das fette Fleisch und die Wolle für sich behalten (Hesekiel 34,3-4). Und es gibt gut genährte Schafe, die den anderen die Weide zertrampeln und das klare Trinkwasser verunreinigen (Hesekiel 34,18-19).

Gier, rücksichtsloser Eigennutz, Gleichgültigkeit – eine unselige Melange aus diesen Antreibern bringt Menschen dazu, rücksichtslos im Übermaß für sich selbst zu sorgen. Auf Kosten anderer. Eine Selbstbezogenheit, die vor allem um sich kreist, alles für sich will, stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist, nervt Gott. Deswegen will er das Fette vernichten und für Recht sorgen.

Monatsandacht September 2025

„Gott ist unsre Zuversicht und Stärke.“
Psalm 46,2 nach der Luther 2017

Nürnberger Burg_Rüdiger Kopatschek

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke“ (Psalm 46,2) – eine kraftvolle Aussage! Ursprünglich war dieser Psalm ein Hoffnungsanker für das belagerte Jerusalem, als 701 v. Chr. die Assyrer vor den Stadttoren standen. Für solche und ähnliche Situationen ruft der Psalm dazu auf, nicht in Panik zu verfallen, sondern auf Gottes Schutz zu vertrauen.

Dieses Bekenntnis ist weit mehr eine Durchhalteparole aus vergangenen Zeiten. Man kann Psalm 46 regelrecht als Antikriegslied verstehen – als Ruf gegen Gewalt und als Ausdruck von Friedenssehnsucht, denn: „Er (Gott) macht den Kriegen ein Ende...“ (Vers 10). Nicht der Mensch, sondern Gott selbst legt die Waffen nieder – und zerstört sie.

Martin Luther schuf auf dieser Grundlage das berühmte Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ (F&L 130; EG 632). In der Zeit der Reformation und der Frühen Neuzeit wurde der Kampf gegen religiöse Gegner oft als Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verstanden, wobei die Abgrenzung zwischen spirituellem und weltlichem Kampf fließend war. Dadurch entstand im Laufe der Zeit eine enge, aber problematische Verbindung zwischen Religion, Nation und Gewalt, die so von Luther ursprünglich vermutlich nicht beabsichtigt war.

In unserer heutigen Welt feiert nationalistische Propaganda in Verbindung mit religiösen Symbolen fröhliche Urständ. An vielen Orten werden Kriege als Dienst an der heiligen Sache gerechtfertigt. Vor diesem Hintergrund bleibt Psalm 46 herausfordernd aktuell. Gott als „Helfer der eigenen Waffen“ zu vereinnahmen, ist eine gefährliche Illusion. Der Psalm hält dagegen: Unsere Stärke liegt nicht in Rüstung, sondern in der Hoffnung, dass Gott Kriege beendet – auch wenn das im Moment ziemlich utopisch und dem Zeitgeist entgegenzusehen scheint.

Monatsandacht August 2025

„Aber Gott hat mir bis heute geholfen.
Deshalb stehe ich hier als sein Zeuge vor den einfachen Leuten wie vor den Mächtigen.“

Apostelgeschichte 26,22 nach der Basisbibel

ZeugnisGeben_Rüdiger Kopatschek

Apostelgeschichte 26,22 ist das fulminante Ende der Verteidigungsrede von Paulus vor dem König Agrippa. Paulus steht vor Gericht als Aufrührer und Rebell gegen die jüdische Religion. Sein Prozess wurde schon zwei Jahre verschleppt (Apostelgeschichte 24,27). Agrippa soll jetzt die Beschuldigungen gegen Paulus feststellen, bevor er nach Rom vor den Kaiser gebracht wird. Paulus hatte sich auf sein römisches Bürgerrecht berufen, um nicht in Jerusalem gerichtet zu werden. Paulus geht in seiner Verteidigungsrede aber nicht Vorwürfe durch und entkräftet sie. Vielmehr erzählt er von seinem Weg vom Verfolger der ersten Christinnen und Christen hin zu einem Verkündiger des Evangeliums. Paulus liefert keine juristische Argumentation, sondern erzählt von seinem Leben, heute nennen wir das oft 'Zeugnis geben'. Was können wir von Paulus über unser Zeugnis lernen? Erstmal: Paulus soll eigentlich Zeugnis geben von seinen Taten und Unschuld, gibt aber letzten Endes Zeugnis von dem, was Gott in seinem Leben getan hat.

Was bedeutet aber Zeugnis geben? Im Gericht gebe ich mein Zeugnis ab, um meine Perspektive auf ein Geschehen darzustellen. Ein Zeugnis will etwas, es dient der Verteidigung oder Anklage. Zeugnisaussagen sind immer persönlich gefärbt und hängen an der Vertrauenswürdigkeit der bezeugenden Person. Ein Zeugnis kommt erst dann ans Ziel, wenn das Gegenüber dem Zeugnis glaubt und es als vertrauenswürdig ansieht. Das Zeugnis lebt von unserer Integrität und Vertrauenswürdigkeit, es sollte also authentisch sein. Paulus erzählt von der Hilfe und dem Beistand, die er erhalten hat. Er geht nicht über sich selbst hinaus und zitiert große abstrakte Gedankenkonstrukte. Er redet von seinem Leben und seinen eigenen Begegnungen mit Gott.

Monatsandacht Juli 2025

„Sorgt euch um nichts,
sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott!“

Philipper 4,6

Entspannend_Rüdiger Kopatschek

Macht euch keine Sorgen! Na, wenn das so einfach wäre.
Warum sollen wir uns eigentlich keine Sorgen machen? Ist es nicht auch gut, wenn wir das tun? Es zeugt doch von Sorgfalt, wenn ich an das denke, was kommen kann und dabei auch daran denke, was alles fehlgehen kann und was im schlimmsten Fall geschehen könnte. Das Miteinbeziehen des „Worst Case“ in meine Planung hilft mir doch das Risiko einzuschätzen, das macht meine Planung doch erst tragfähig. So kann ich doch erst geeignete Vorkehrungen treffen und dem Schlimmsten vorbeugen. Das ist doch richtig, wichtig und gut. Oder?

Mein Sorgen hilft mir eventuell, mich gut vorzubereiten, aber es gibt keine Sicherheit. Möglicherweise treffe ich so die richtigen Entscheidungen, aber es kann auch dazu führen, dass ich mir immer größere Sorgen mache und Angst habe vor dem, was kommt und diese Angst wächst, je mehr ich darüber nachdenke. Sorgen scheinen einerseits ein adäquates Mittel zur gründlichen Planung, aber andererseits lassen sie Ängste wachsen. Sorgen schaffen keine Sicherheit, aber sie bestimmen unsere Blickrichtung: Wir schauen auf das, was schwierig ist und Mühe macht, schief gehen könnte oder auf das, was fehlt.

Fernblick_Rüdiger Kopatschek

Philipper 4, 6 lädt uns ein, unsere Blickrichtung zu verändern. Weg von dem, was Mühe macht, weg von den Schwierigkeiten: Auf Jesus hin.

Mit Gebet und Dank richten wir uns auf Jesus aus. Unser Blick ist auf ihn gerichtet. Und das verändert uns. Wir sehen auf Jesus, der selbst dazu auffordert: Sorgt euch um nichts! Wir sehen auf Jesus, der uns Blumen und Vögel als Beispiel für Schönheit und Leichtigkeit vorstellt und uns einlädt, auf Gott zu vertrauen.

Das ist ein schöner Tausch: Vertrauen statt Sorgen – sich Gott anvertrauen statt sich Sorgen zu machen. Dabei werden die Schwierigkeiten nicht ignoriert. Sie werden wahrgenommen und mit Bitten und Flehen ausgedrückt. Der Blick geht weg von den Problemen hin zu Gott, an den sich die Gebete richten. Schwierigkeiten wahrnehmen, als Gebet formulieren, sich auf Gott ausrichten und dann loslassen. Das bringt Frieden.

Monatsandacht Juni 2025

„Mir aber hat Gott gezeigt,
dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf.“

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Wo Liebe ist_Rüdiger Kopatschek

Wir befinden uns mitten in der Apostelgeschichte und dennoch ganz am Anfang der christlichen Kirche. Es ist ein epochaler Wendepunkt in der Missionsgeschichte. Der Protagonist ist Petrus, Apostel, Säule in Jerusalem. Ein Jünger Jesu voll Feuer von Anfang an. Jemand der drauflos geht – manche würden sagen: Mit dem Kopf durch die Wand. Niemand der sich zu viel Sorgen um soziale Konventionen macht. Trotzdem gibt es einen fast unüberwindbaren Graben, der sich der jungen Kirche aufspannt. Bis jetzt haben sie ein klar festgesetztes Missionsziel: Das jüdische Volk. Das ist nur natürlich: Sie selbst bestehen ja auch alle aus Menschen aus dem jüdischen Volk.

Selfi_Rüdiger Kopatschek

Das macht das Leben auch leichter: Der kulturelle Graben zwischen dem jüdischen Volk und den heidnischen Völkern war offensichtlich und spürbar. Speisevorschriften und bestimmte Festtage zogen eine klare Kante zu anderen Völkern, es waren sog. cultural identity marker. Sie ermöglichten keinen leichten Austausch zwischen den Völkern. Jüdische Familien aßen kein Fleisch, das einem anderen Gott geopfert oder geweiht wurde, das machte dann schon das gemeinsame Essen fast zu einem Ding der Unmöglichkeit. Diese Unterschiede sind dabei nicht nur kognitive Lehrdifferenzen, sondern haben mit Lebensweisen und Gewohnheiten zu tun. Diesen Graben zu überspringen, erfordert Mut, Selbstüberwindung. Vermutlich war Schweinefleisch essen für jüdische Menschen mit ähnlichen Emotionen verbunden wie vielen Deutschen das Essen von Hühnerfüßen – die in Asien als Delikatesse gelten.

In Apostelgeschichte 10 begegnet Petrus diesem kulturellen Graben. Gott schenkt ihm eine Vision, wo vom Himmel herab ein Tuch mit Tieren herabkommt, auch mit Tieren, die nach geltendem jüdischem Gesetz klar als unrein gelten. Petrus verweigert das Essen erst, aber Gott entgegnet: „Was Gott rein gemacht hat, das sollst du nicht unrein nennen“ (Apostelgeschichte 10,15). Diese Vision fordert Petrus heraus, über die eigenen kulturellen und religiösen Grenzen hinauszublicken. Bei dieser abstrakten Lernerfahrung bleibt es aber nicht: Es klopfen Römer an seine Tür, Petrus soll mit nach Cäsarea ins Haus des Hauptmann Kornelius kommen.

Monatsandacht Mai 2025

Zu dir rufe ich, Herr;
denn Feuer hat das Gras der Steppe gefressen,
die Flammen haben alle Bäume auf dem Feld verbrannt.
Auch die Tiere auf dem Feld schreien lechzend zu dir;
denn die Bäche sind vertrocknet.

Joel 1,19-20

Eiserne Gesichter_Rüdiger Kopatschek

Es ist eine eigenartige Gebetsgemeinschaft, die der Prophet Joel seinen Hörern hier vor Augen malt. Angesichts einer langen Dürre seufzen und schreien Menschen und Tiere gemeinsam zu Gott. Schon in den Versen davor hat der Prophet die Priester, die Ältesten und alle Bewohner des Landes zu Klage und Fürbitte angesichts dieser Trockenheit aufgerufen. Gemeinsam mit ihren Rindern und Schafen, die angesichts des fehlenden Futters seufzen, sollen auch die Menschen fasten und sich dem Gott Israels zuwenden. 

Und nun betet Joel mit lauten Klagerufen zum Herrn und nimmt sich dabei die wilden Tiere der Steppe zum Vorbild, die angesichts ihrer vertrockneten Trinkstellen längst zu Gott schreien. Während die Wildtiere wissen, an wen sie sich wenden müssen, muss der Prophet seine Landsleute erst dazu auffordern, aufzuwachen, die Trauergewänder anzuziehen und den Herrn anzurufen. Obwohl die Weinstöcke und Feigenbäume keine Früchte mehr tragen, das Gras und die Bäume vom Feuer verbrannt sind, scheinen bisher nur die Tiere begriffen zu haben, was die Stunde geschlagen hat. 

Würden wir heute die Tierwelt fragen, wie es um unsere Erde steht, wir würden vermutlich ähnliche Klagelaute zu hören bekommen, wie der Prophet Joel. Die vertrocknenden Bäche, die anhaltenden Dürren, vom Feuer verbrannte Bäume, sie werden genau wie andere Extremwetterereignisse auch in den gemäßigteren Breiten häufiger. Und nicht nur die Menschen leiden darunter. Immer mehr Tierarten sterben aus, weil sie ihren ursprünglichen Lebensraum verlieren. Und in endgültig ausgetrockneten Seen und Bächen werden keine Fische mehr schwimmen. Und wo nichts mehr wächst, da verhungern Menschen und Tiere gemeinsam. 

Joel ruft seine Mitbürger zu Buße und Gebet auf, weil er voraussieht, dass Gott dann eingreifen wird.

Monatsandacht April 2025

„Brannte nicht unser Herz in uns,
da er mit uns redete?“

Lukas 24,32

Brennende Herzen_Rüdiger Kopatschek

Genau zwölfmal brennt es im Neuen Testament: Lampen und Lichter brennen (Mt 5,15; Lk 12,35; Joh 5,35), außerdem Unkraut (Mt 13,40) und verdorrte Reben (Joh 15,6). Es brennen Fackeln (Offb 4,5) und Berge (Hebr 12,18; Offb 8,8), ein großer Stern (Offb 8,10), und nicht zuletzt der feurige Pfuhl (Offb 19,20; 21,8) am Ende der Johannesoffenbarung. 

Aber nur einmal im Neuen Testament brennen Herzen. Eben hier, an dieser Stelle. Es sind die Herzen der Emmausjünger. Sie waren mit Jesus auf dem Weg, ohne ihn zu erkennen. Dann bricht er zu Tisch das Brot, und als sie das sehen, erkennen sie ihn. Danach verschwindet Jesus vor ihren Augen. „Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?“ 

Was also hat ihre Herzen in Brand gesetzt? Das Reden mit Jesus, und Jesus, der ihnen die Bibeltexte ausgelegt und erklärt hat: „Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.“ (Lukas 24,27) 

Es überrascht mich, dass ausgerechnet hier, und nur hier im Neuen Testament von brennenden Herzen die Rede ist. An anderer Stelle hätte ich eher damit gerechnet. Zum Beispiel an Pfingsten, als den Jüngerinnen und Jüngern „Zungen, zerteilt und wie von Feuer“ (Apostelgeschichte 2,3) erscheinen und sie vom Heiligen Geist erfüllt werden. Aber: Es ist hier nicht Feuer vom Himmel, das Herzen in Brand setzt, sondern das Gespräch mit dem Herrn und die Begegnung mit der Schrift. Und das, so verstehe ich den Monatsspruch, gilt auch heute. Das Gespräch mit Jesus, dem Auferstandenen, und die Begegnung mit der Heiligen Schrift, das sind auch heute die Kräfte, die aus Herzen brennende Herzen machen. 

Dabei ist das Bild vom brennenden Herz ein durch und durch positives. Deutlich wird das durch die beiden anderen Herzen in unmittelbarer textlicher Nachbarschaft: das träge Herz in Vers 25 und das erschrockene Herz in Vers 38. Auch diese Zustände des Herzens gehören zum Weg des Lebens, damals und heute. Doch es gibt Hoffnung und eine gute Nachricht für beide Herzen:

Monatsandacht März 2025

Monatsspruch 2025-03_Rüdiger Kopatschek

"Und wenn ein Fremder bei dir lebt in eurem Land,
sollt ihr ihn nicht bedrängen."

3. Mose 19,33

Die Menschen im alten Israel haben auch erlebt, dass die Begegnung mit Fremdem und Fremden herausfordernd sein kann. Nicht immer führt sie zu offenen Armen. Manchmal löst sie Verteidigungshaltungen oder Abwehrreaktionen aus, gelegentlich sogar Gewalt. Fremde werden bedrängt. So menschlich allzu menschlich ging es wohl schon immer zu, andernfalls wäre dieses Gebot gar nicht in die Bibel aufgenommen worden.

Wurde es aber. Und zwar deshalb, damit wir unsere Skepsis Fremden(m) gegenüber und die mit ihr einhergehenden Reflexe durchbrechen und einen anderen Umgang einüben; ein alternatives Verhaltensmuster ausprobieren. Das könnte so aussehen: Fremdes an sich heranlassen, Fremden Raum schaffen, in die Begegnung gehen, das Miteinander suchen.

Ein Schlüssel dafür ist die Erinnerung an die eigene Erfahrung. Ein Vers weiter wird Israel daran erinnert, dass es selbst mal zu den Fremden gehörte. Sklaven waren sie in Ägypten. Heimatlos, am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie. Manche werden zustimmend nicken, weil sie diese Erfahrung kennen. Für Herkunftsdeutsche wie mich gehören solche Erlebnisse nicht zur Biografie. Aber wir können versuchen, uns in die Situation Fremder hineinzuversetzen.

Als meine Eltern vor einigen Jahren Kontakt zu Geflüchteten aus der Türkei bekamen und ihnen Deutschunterricht gaben, sagte mein Vater irgendwann zu meiner Mutter: Wie wären wir wohl damit umgegangen, wenn wir mit kleinen Kindern in ein anderes Land hätten fliehen und alles zurücklassen müssen? Diese Frage, dieses Mitschwingen mit den Erfahrungen anderer hat Offenheit für „die Fremden“ und Nähe zu ihnen erzeugt. Bei seiner Beerdigung waren viele aus der türkischen Gruppe anwesend und erwiesen ihm als Muslime auf einer christlichen Beerdigung die letzte Ehre.

Monatsandacht Februar 2025


"Du tust mir kund den Weg zum Leben."

Psalm 16,11

Bergwiese_Rüdiger Kopatschek

Dieser Vers fasst wunderschön das Herz des Wunsches Gottes für sein Volk zusammen: nicht nur Gottes Wunsch uns auf die Wege zu führen, die wir gehen sollen, sondern uns auch in die Fülle von Freude und Erfüllung eintauchen zu lassen, die allein von Gott kommt. Gott bietet uns einen Weg an, der zum Leben führt – ein Leben voller Freude, Frieden und Zweck, das im klaren Gegensatz zur Leere steht, die oft mit bloßem Existieren verbunden ist.

Durch die ganze Bibel hindurch wird uns die Wahl zwischen Leben und Tod präsentiert. In 5.Mose 30,19-20 ermutigt Mose die Israeliten: „Ich habe dir heute Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt. Wähle das Leben, damit du und deine Nachkommen leben können und damit du den Herrn, deinen Gott, liebst.“ Diese Einladung, das Leben zu wählen, spiegelt Gottes fortwährendes Angebot von Gnade wider, das uns nicht nur die Möglichkeit gibt, zu existieren, sondern auch in der Beziehung mit ihm zu wachsen und zu gedeihen.

Das Neue Testament unterscheidet zwei Arten von Leben. „Bios“ (βίος) bezieht sich auf unsere physische Existenz, das biologische Leben, das wir alle teilen, während „zoë“ (ζωή) sich auf das geistliche, ewige Leben bezieht und Vitalität, Fülle und das Wesen des Lebens betont, das Jesus verspricht, wenn er in Johannes 10,10 sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben (ζωή) haben und es in Fülle haben.“ Dieses Leben im Überfluss ist nicht nur ein bloßes Existieren; es ist eine transformative Beziehung zu Gott, die sich in seiner Gegenwart entwickelt.

Der Begriff aionios zoë (ἀιώνιος ζωὴ) bezieht sich speziell auf das ewige Leben, das Gläubigen versprochen wird, wie zum Beispiel in Johannes 3,16: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben (ἀιώνιος ζωὴ) hat.“ In 1. Johannes 5,11 lesen wir: „Gott hat uns ewiges Leben (ἀιώνιος ζωὴ) gegeben,

Monatsandacht Januar 2025


"Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!"

Lukas 6,27-28

Arm-in Arm_Rüdiger Kopatschek

Wenn heute jemand vage etwas von Jesus gehört hat – dann das. Diese radikale Aufforderung, die Feinde zu lieben. Die andere Wange hinzuhalten. Dafür steht Jesus, dafür sollte das Christentum stehen. Manche halten es deshalb für naiv. Andere loben die Idee, fragen aber kritisch: Wer lebt denn wirklich so? Kann man das überhaupt umsetzen?
Ja, diese Aufforderung ist radikal. Weltfremd ist sie nicht. Sie steht in der sogenannten „Feldrede“ (vgl. Lukas 6,17), die viel von dem enthält, was Matthäus in der „Bergpredigt“ berichtet (Matthäus 5-7). Gleich zu Beginn preist Jesus die Armen und Verfolgten selig und kündigt Unheil für die Reichen an (Lukas 6,20-26).

Danach folgen unsere Sätze. Erneut benennt Jesus Gewalterfahrungen: Es gibt Feinde, die hassen, verfluchen, beschimpfen. „Hassen“ umfasst dabei auch Ablehnung und Ausgrenzung. Für „beschimpfen“ steht im griechischen Original ein Wort, das auch erniedrigende Taten umfasst. Es geht um mehr als ein paar Schimpfworte: kränkende Ablehnung, üble Nachrede bis hin zu Mobbing und Missbrauch. Erfahrungen, die bis heute zu viele Menschen machen müssen.

Wie kann man mit so etwas umgehen? Wie kommt man da raus? Jesus stellt den vier Angriffsarten vier Verteidigungsstrategien entgegen: Anfeindung und Ablehnung soll man mit Liebe und guten Taten kontern. „Liebe“ meint dabei kein warmes Gefühl, eher praktische Hilfe und ein gutnachbarschaftliches Miteinander (3. Mose 19,17-18; Lukas 10,29-37). Den bösen Worten soll man gute entgegenstellen: Verleumder segnen, für Hetzer beten (vgl. Jeremia 29,7). Also: Gutes tun im direkten Umgang mit denen, die mich anfeinden – und im Gebet ihre demütigenden Worte ins Positive kehren.

Aber ist das nicht eine Zumutung für die Opfer?

Andacht zur Jahreslosung 2025


"Prüft aber alles und das Gute behaltet."

1. Thessalonicherbrief 5,21

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Wir leben in Zeiten, in denen sich unsere Gesellschaft rasant verändert und immer vielfältiger wird. Und manche begrüßen jede Neuerung, während andere lieber das Althergebrachte verteidigen wollen. Und gleichzeitig steigt die Vielfalt in unserer Gesellschaft und der Streit zwischen den verschiedenen Ansichten wird zum Teil erbittert geführt.

Was uns als Problem der modernen Gesellschaft erscheint, ist eigentlich eine uralte Frage. Wie reagieren wir auf neue Herausforderungen und wachsende Vielfalt? Diese Frage ist so alt, dass sie sogar im ältesten Text des Neuen Testaments thematisiert wird. Dort schreibt der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Thessaloniki zu diesem Thema: „Prüft aber alles, und das Gute behaltet.“

Die von Paulus gegründete Gemeinde in Thessaloniki lebte in einer antiken Hafenstadt, in der Menschen aus allen Ländern der Welt zusammenkamen.
Und sie brachten unterschiedlichste Religionen und Kulte, philosophische Überzeugungen und Wertvorstellungen mit und stellten damit die junge christliche Gemeinde vor Ort vor viele Fragen. Wie umgehen mit dieser Vielfalt? Wie offen dürfen wir sein? Welche Glaubensgrundsätze, sind unaufgebbar, welche veränderlich? Und wie sieht eine gute christliche Lebenspraxis aus?

Monatsandacht Dezember 2024


"Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!

Jesaja 60,1

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Mit großer Wucht ertönt das Wort des Propheten Jesaja: „Mache dich auf, werde licht.“ Dieses Wort hörten zunächst Menschen in Jerusalem lange vor unserer Zeit. Vor vielen Jahren waren dort unter dem Ansturm feindlicher Truppen die Lichter ausgegangen.
Nun kehrten die Nachfahren der einstigen Bewohner aus dem Exil in Babylon zurück und das heimatliche Jerusalem sollte wieder hell leuchten.
Doch: Wo viel Licht ist, da ist bekanntlich auch viel Schatten. Das verschweigen die folgenden Verse nicht (Vers 2a): „Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker.“ Licht und Finsternis stehen sich schroff gegenüber.
Mitten in diese finstere Situation der Welt bricht das helle Wort des Propheten für Jerusalem hinein. Im Rückblick in die Vergangenheit mag man sich an den Beginn der Schöpfung erinnern, als Gott mitten in die Finsternis sein schöpferisches Wort gerufen hatte (1.Mose 1,3): „Es werde Licht“! und damit den ersten aller Tage beginnen ließ. Im Ausblick in die Zukunft richtet der Prophet die Hoffnung auf die aufgehende Herrlichkeit Gottes, die hell strahlen und Frieden, Gerechtigkeit und ein Ende allen Leides bringen wird (Jesaja 60, 17+20).

Der Prophet nimmt uns mit hinein in eine Welt zwischen aufgehendem Licht und noch sehr realer Finsternis einer vom Krieg zerstörten Stadt. Er spricht die Hoffnung aus, dass Gott mit seinem heilenden Licht in die finstere Gewalt und die dunklen Nöte von Angst, Not, Hunger, Krankheit, Leid, Gefahr und Tod kommen und diese ein für alle Mal beseitigen wird.
„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“ Mit diesen Worten hat Jochen Klepper diese licht- und heilschaffende Bewegung Gottes zum Ausdruck gebracht.

Monatsandacht November 2024


"Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt."

2. Petrus 3,13

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Mir kommt ein Satz in den Sinn, den ich irgendwo gelesen habe:
„Wir gehen mit der Welt um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum.“
Das hat, wie ich durch Nachschlagen feststelle, Jane Fonda gesagt, eine amerikanische Schauspielerin, die sich für den Klimaschutz einsetzt. Es gab früher Christen und gibt sie womöglich immer noch, die sich wenig Gedanken um den Zustand von Himmel und Erde machten. Sie lebten, als hätten sie die Schöpfung längst abgeschrieben. Sie behandelten die Welt wie eine alte Waschmaschine, bei der sich die Instandhaltungskosten nicht mehr lohnen, denn bald kommt ja ohnehin eine neue. Klingt irgendwie logisch.
Aber Moment mal, das würde ja heißen: „Das Reich Gottes ist nahe, deshalb tut keine Buße, ändert nicht euer Leben, es geht ohnehin alles den Bach runter.“
Das wäre das Gegenteil von dem, was Jesus gelehrt hat.

Monatsandacht Oktober 2024


"Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß."

Klagelieder 3,22-23

Treppen

Das Kapitel aus den Klageliedern, aus dem dieser Vers stammt, beginnt mit einer eindrücklichen Aufzählung all der Leiden, die der Beter in seinem Leben erleben muss. Er klagt seinen Gott dafür an, dass er in dunklen Zeiten lebt, dass seine Knochen schmerzen und dass seine Haut alt und schlaff geworden ist. Er fühlt sich fast schon wie tot und in seiner ausweglosen Situation alleingelassen und gefangen. Allenfalls Spott hat er noch zu erwarten, so schlecht geht es ihm.

Und noch schlimmer: Auch Gott verschließt seine Ohren vor der Klage des Beters. Er lässt ihn in die Irre laufen, überfällt und zerfleischt ihn wie ein Löwe und schießt dem Beter mit gespanntem Bogen zusätzlich Pfeile in die Nieren, statt ihm zu helfen. Es bleibt ihm nichts Anderes übrig, als auf seinen Problemen herumzukauen wie auf Kieselsteinen und sie mit bitterem Wermut herunterzuspülen.

Liebesschlösser

Aber dann formuliert der verzweifelte Beter plötzlich mit dem Monatsspruch Worte, die an das gemeinsame Bekenntnis Israels erinnern, dass sein Gott gnädig und barmherzig ist, geduldig und von großer Treue. Dieses Bekenntnis wendet der Klagende hier ganz persönlich auf sich selbst an. Wenn all das Üble von Gott kommt, dann muss es auch eine Gabe Gottes sein, dass er in einer Welt, in der die meisten früh sterben, überhaupt alt werden durfte. Und gilt das dann nicht für jeden weiteren Tag? Solange Gott ihn aufwachen lässt, solange ist Gottes Barmherzigkeit offenbar noch nicht ganz ans Ende gekommen. Und solange der Beter einen neuen Morgen erblickt, solange ist die Treue seines Gottes noch immer groß.

Monatsandacht September 2024


"Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr,
und nicht auch ein Gott, der ferne ist? "

Jeremia 23,23

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Hier spricht Gott selbst. Er ist wütend, aufgebracht. Er wendet sich an Propheten, die sein Volk in die Irre führen. Sie reden ihre eigenen Worte und nicht Sein Wort, erzählen von ihren eigenen Träumen und nicht von Träumen, die Er ihnen gab. Sie maßen sich an, in Gottes Namen zu sprechen. Sie lügen und betrügen. Sie wiegen ihre Mitmenschen in einer falschen Sicherheit, reden was gefällt und warnen sie nicht vor den Folgen ihres Handelns. So ist keine Umkehr möglich. Es wird sich nichts verändern. Menschen betrügen andere Menschen zu ihrem eigenen Vorteil und das tun sie im Namen Gottes. Sie sind Wegweiser, die falsche Wege weisen.

Dieses Verhalten ist Gott nicht verborgen. Er ist nah. Er schaut nicht weg. Er nimmt dies alles wahr. Vor Gott kann sich niemand verstecken und das ist gut so. Gott sagt, dass er auch ein Gott ist, der fern ist. Dies zeigt, dass sich niemand aus der Verantwortung schleichen kann. Die Menschen, die Gott zur Rechenschaft ziehen will, können dem nicht entkommen, z. B. in dem sie sich „in die Ferne“ begeben. Wo immer Menschen vor ihm weglaufen – er ist schon da: Und er spricht die Wegweiser auf ihre Verantwortung an. So geht das nicht! So ist die Liebe nicht! So nicht! Ändert Euch! Dringt durch zur Liebe! Jetzt!

Wo immer Menschen vor Gott weglaufen – ist er schon da: Das ist sehr tröstlich, weil wir immer nur in seine Arme laufen können. An anderer Stelle betet ein Mensch, der diese Erfahrung gemacht hat: Wohin könnte ich gehen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deiner Gegenwart? Würde ich in den Himmel steigen: Du bist dort. Würde ich mich in der Unterwelt verstecken: Du bist auch da. Würde ich hochfliegen, wo das Morgenrot leuchtet, mich niederlassen, wo die Sonne im Meer versinkt:

Monatsandacht August 2024


"Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind,
und verbindet ihre Wunden. "

Psalm 147,3

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Diese Bibelworte sind Teil eines Psalms, der ein großes Lob Gottes anstimmt und der zum Singen gedacht war. Dazu ermuntert der erste Vers: „Gut ist es, unserm Gott zu singen; schön ist es ihn zu loben.“ Singen und loben sind die beiden Verben, die anzeigen, dass an ein musikalisch begleitetes Singen der Gemeinde gedacht war. Wie das klang, wissen wir nicht. Vermutlich hat dieser Auftakt Anton Bruckner dazu animiert, dem Psalm eine wunderbare, kantatenähnliche Vertonung zu widmen (Bruckner WAB 37, Psalm 146). Dass sein Werk den Psalm als den 146. ausgibt, liegt daran, dass er sich bei der Zählung an die lateinische Bibel hält. Es lohnt sich, in dieses Werk, das auf Streaming-Plattformen verfügbar ist, einmal hineinzuhören. Dabei fällt auf, dass unser Monatsvers in einem Rezitativ von einem Sopran nur kurz gestreift wird. Die musikalische und stimmliche Wucht konzentriert sich auf Vers 5: „Unser Herr ist groß und von großer Kraft, und unbegreiflich ist, wie er regiert.“ Das haben die Verfasser des Psalms offensichtlich erfahren. Und zwar so, dass Gottes Kraft als heilsames und aufrichtendes Handeln erlebt wurde. Die Israeliten, die alles verloren hatten und im Exil in Babylon waren, hat er zurückgeführt. Jerusalem wurde wieder aufgebaut (Vers 2). Die Herzen, die durch Verlust, Trauer und Hoffnungslosigkeit gebrochen waren, wurden geheilt; schmerzende Wunden angesichts einer erdrückenden Gegenwart wurde von Gott behutsam verbunden.

Manche Gotteserfahrungen kann man nur besingen. Wer singt, nimmt den Mund immer ein bisschen zu voll. Singend sehen wir mehr, als vorfindlich da ist. Der Monatsspruch ist keine Feststellung, die auf alles und jeden zutrifft. Manche werden mit dankbarem Gesichtsausdruck nicken.Andere lecken sich noch ihre Wunden, weil sie eben noch nicht verbunden sind: überflutete Keller, weggespülte Häuser, zerbombte Häuser, viel Verlust, wenig Aufbau.

Monatsandacht Juli 2024

Stühle im Stadion


"Du sollst der Menge nicht folgen zum Bösen."

2. Mose 23,2a nach Elberfelder

Eine Menge ist mächtig. Nicht erst seit den großen Massenhysterien des Nationalsozialismus ist klar: Eine Masse von Menschen hat eine gewaltige, mitreißende Anziehungskraft. Menschen fühlen sich gerne zugehörig. Einer Masse mit einem vermeintlichen Konsens kann der Einzelne sich nur schwer entziehen. Gerade heute gibt es mit den Sozialen Medien und unserer ausdifferenzierten Gesellschaft immer mehr sogenannte "Bubbles", Filterblasen, wo wir in Gruppen unterwegs sind, die vor allem unsere eigenen Meinungen widerspiegeln. Das ist aber nur eine neue Episode eines alten Phänomens. Solche Gruppenphänomene haben positive Effekte: Es stärkt das Wir-Gefühl und lässt die Zusammenarbeit leichter fallen. Es gibt eine große Nähe und gute Gemeinschaft.

Menschen im Cafe

Monatsandacht Juni 2024

Menschen am Wasser


Mose sagte:
Fürchtet euch nicht!
Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet!

2.Mose 14,13

Die Geschichte, wie die Israeliten das Meer durchziehen und den Ägyptern entrinnen, übt bis heute ihren Reiz aus. Befreiung aus Tyrannei und Zwang, auch wenn alles verloren geglaubt wird, scheint eine tiefe Sehnsucht bei vielen Menschen wachzurufen. Die Dokumentarserie „Testament. Die Geschichte von Moses“, welche seit kurzem auf der Streaming-Plattform Netflix zu sehen ist, ist nur eines von vielen Beispielen für diese anhaltende Faszination. Von der Überzeugungskraft dieses Formats mag sich jede und jeder selbst ein Bild machen.

Die Bibel jedenfalls legt es nicht darauf an, das Wunder als ein Ereignis darzustellen, das man lediglich als interessierter Zuschauer bestaunt. Der Appell Moses in 2.Mose 14,13 widerspricht dem nur auf den ersten Blick. Streng genommen muss man übersetzen:

Monatsandacht Mai 2024


Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.

1. Korinther 6,12.

Litfasssäule SALE

„Alles ist mir erlaubt!“ Das wäre doch schon ein guter Monatsspruch gewesen, oder? Die christliche Freiheit auf den Punkt gebracht. Zur Unterstützung könnte man weitere Sätze dazustellen, die Paulus geschrieben hat.
Der Gemeinde in Galatien ruft er zu: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1).

Freiheit ist ein hoher christlicher Wert. Dass wir an einen Gott glauben, der in die Freiheit führt, zeigt sich schon im Alten Testament: „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ So stellt sich Gott in 2. Mose 20,2 vor. Aus der Knechtschaft in die Freiheit führt er, in ein gutes Land hinein – das hat Israel erlebt, so haben sie Gott kennen gelernt.

Diese Freiheit sehe ich bei Christen nicht immer. Allzu häufig verheddern wir uns in Regeln oder lassen uns von Ängsten bestimmen. Für mich war es ein wichtiger Prozess, die Freiheit Gottes zu entdecken. Sie war nicht einfach „da“. Aber immer wieder habe ich erlebt, dass Gott mir Freiheit und Raum zur Entfaltung zuspricht. Mich herausführt aus mancher Enge in seinen weiten Raum. Die doppelte Aussage „Alles ist mir erlaubt“ ist also nicht nur der Auftakt für das „Aber“, das folgt. Auch wenn Paulus hier vielleicht einen Satz zitiert, den die Korinther gerne vor sich hertrugen, lehnt er ihn nicht einfach ab.

Monatsandacht April 2024

Gespäch im Bistro HRK


Seid stets bereit,
jedem Rede und Antwort zu stehen,
der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung,
die euch erfüllt.

1.Petrus 3,15

Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt (1.Petrus 3,15).
Nicht immer ist Schweigen Gold und Reden Silber. In so manchen Situationen in meinem Leben habe ich geschwiegen, obwohl reden vielleicht hilfreicher gewesen wäre und geredet, obwohl schweigen angebrachter gewesen wäre. Nicht jedem will ich Rede und Antwort stehen oder für alles Rechenschaft ablegen müssen.
Doch hier werde ich aufgefordert und herausgefordert: Nicht zu schweigen von der Hoffnung, die mich erfüllt. Hier werden wir, als Gemeinde Christi, aufgefordert nicht zu schweigen, von der Hoffnung, die uns erfüllt.

Monatsandacht März 2024

Kirchturm mit Blüten


Entsetzt euch nicht!
Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier.

Markus 16,6

„Die neue Unverbindlichkeit als Herausforderung für die Gemeindearbeit“

Entsetzen und Furcht sind im Markusevangelium die zentralen Gefühle angesichts der Auferstehungserfahrung. Die drei Frauen, die am Ostermorgen zum Grab kommen, finden dieses offen vor und entdecken statt dem erwarteten Leichnam des gekreuzigten Jesus im Grab einen Jüngling in weißem Gewand sitzen. Und Markus beschreibt ihre unmittelbare Reaktion mit den Worten: „und sie entsetzten sich“ (Markus 16,5).
Der Schock war den Frauen offenbar derart ins Gesicht geschrieben, dass der Engel direkt auf ihr Erschrecken reagiert:
„Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ (Markus 16,6)
Die beiden Marias und Salome sind so geschockt, dass sie kaum mitbekommen, dass ihnen der Engel noch aufträgt, diese gute Botschaft an die anderen Jünger Jesu zu überbringen. Und dass sie nach Galiläa gehen sollen, um dort den Auferstanden zu sehen, das scheinen sie ebenfalls angesichts ihres Erschreckens überhört zu haben.
Denn Markus schildert anschließend keine Freude der Frauen, sondern dass sie voll Zittern und Entsetzen von dem Grab fliehen und niemandem etwas davon erzählen, weil sie sich fürchten (Markus 16,8).

Monatsandacht Februar 2024

Neues Testament Martin Luther 1526Copyright: Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg


Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre,
zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit,
damit der Mensch Gottes richtig ist, für jedes gute Werk ausgerüstet.

2.Timotheus 3,16

2.Timotheus 3,16 ist ein Vers, den es sich lohnt zu beherzigen, denn er betont die transformative Kraft des Studiums des Wortes Gottes. Paulus verwendet hier den Begriff „theopneustos“, was wörtlich „vom Atem Gottes inspiriert“ bedeutet.
Damit weist er darauf hin, dass die Heilige Schrift nicht einfach menschlichen Ursprungs ist, sondern Gott als ihre Quelle hat. Wie es in unserer Rechenschaft vom Glauben heißt: „Die Bibel ist Gottes Wort im Menschenmund.“

Dieser Vers erinnert uns daran, dass die Bibel ein Geschenk Gottes ist und niemals auf einen akademischen Text oder ein Objekt der wissenschaftlichen oder literarischen Neugier beschränkt werden sollte.

Andacht zur Jahreslosung 2024

Jahreslosung 2024

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!
1. Korinther 16,14


Liebe macht einen Unterschied.

Aus der Ferne schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Er schreibt an eine zerstrittene Gemeinde in einer schwierigen Situation. Er kann selbst nicht vor Ort sein und die Gemeinde direkt begleiten. So kommt seine seelsorgliche Zuwendung als Gemeindegründer und Gemeindeleiter per Brief. Zum Schluss des Briefes fasst er dann die wesentlichen Anweisungen und Empfehlungen zusammen. Hier betont Paulus noch einmal, was ihm besonders wichtig ist: die Liebe. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Die Liebe soll die Grundhaltung sein, in der die Gemeindemitglieder in Korinth leben und handeln. Schon vorher hatte Paulus das betont: Nur die Liebe gibt den Handlungen ihren wahren Wert.

Monatsandacht Dezember 2023

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.

Lukas 2,30-31

 

Menschenmenge

 

Simeon hatte ein Wort von Gott gehört: Er solle nicht sterben, bevor er nicht den Messias, den Christus, gesehen habe. Doch dieses Erlebnis lag nun schon längere Zeit zurück. Simeon wartete und wartete, vielleicht Jahr um Jahr.
Manche späteren Nacherzählungen und Bilder stellen ihn als Greis dar. Aber davon weiß der Evangelist Lukas nichts zu berichten. Jedenfalls hatte sich die Sache hingezogen. Simeon gab nicht auf. Er wollte noch etwas vom Leben Gottes in dieser Welt sehen und es umarmen.
Endlich: Eines Tages hatte Simeon den Eindruck, er solle in den Tempel gehen. So machte er sich auf den Weg.

Monatsandacht November 2023

Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers.
Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion
und das Siebengestirn und die Sterne des Südens.

Hiob 9,8+9

Monatspruch November 2023 680x320

Es ist eine kalte, glasklare Nacht. Ein Mann steht in einer Wüste des Vorderen Orients und blickt in den Himmel. Hiob heißt er. Wie ein aufgespanntes Zelt umgibt ihn der Nachthimmel. Unzählige Sterne leuchten ihm entgegen, und er sieht Sternbilder, die er schon seit Kindertagen kennt. Langsam ziehen sie mit verlässlicher Treue ihre Bahn. Jeden Tag, jedes Jahr. Wie oft schon hat er diese Pracht bestaunt. Bis vor kurzem war der Sternenhimmel für ihn eine Bestätigung der Macht und Überlegenheit Gottes. Diesem Gott war er treu. Und er hatte ihn wiederum mit Glück und Reichtum beschenkt. Aber jetzt, da ihm alles genommen wurde? Besitz, Kinder, Gesundheit. Jetzt leuchten die Sterne immer noch und ziehen gleichmäßig ihre Bahn. Der Himmel aber ist ihm unheimlich geworden. Der Gott, der die Sterne geschaffen und sie auf ihre Bahn geschickt hat, ist ihm fremd.

Monatsandacht Oktober 2023

Seid Täter des Worts und nicht Hörer allein;
sonst betrügt ihr euch selbst.

Wer sagt denn ihr, dass ich bin?
Jakobus 1,22

Templin Kirchenglocke

Der Schreiber dieses Briefes hat Angst.
Er befürchtet, dass seine Leserinnen und Leser sich zu sehr auf ihren Glauben verlassen.
Er kennt die Botschaft des Apostels Paulus, dass der Glaube aus der Predigt und damit aus dem Hören auf das Wort Gottes kommt. Aber er findet es ausgesprochen schwierig, wenn daraus abgeleitet wird, dass es nur noch auf den Glauben ankommt.
Was ist mit einem Glauben, der sich nicht im Leben zeigt?
Was ist, wenn das Vertrauen auf die Liebe Gottes nicht zu einem veränderten Verhalten führt?
Wie sollen andere die Botschaft des Evangeliums als bedeutsam erkennen, wenn sich die Glaubenden in ihrem Verhalten nicht von anderen unterscheiden?

Deshalb kann der Schreiber des Jakobusbriefes geradezu provokativ behaupten, dass der Glaube ohne Werke tot ist (Jakobus 2,17 und 26).
Für ihn gehören Theologie und Ethik, Glauben und Handeln ganz eng zusammen. Nur wenn beides im Leben eines Menschen stimmig ist, entfaltet das Wort des Evangeliums seine Kraft. Nur dann wird der Glaube an Jesus Christus ein überzeugendes Angebot auch für die, die jetzt noch nichts davon wissen. All dies wurde in einer Zeit geschrieben, als die Christen als neue religiöse Gemeinschaft von ihrer Umwelt kritisch beäugt, zum Teil verleumdet und mitunter sogar verfolgt wurden.

Monatsandacht September 2023

Jesus Christus spricht:
Wer sagt denn ihr, dass ich bin?
Matthäus 16,15

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Es ist eine natürliche menschliche Neigung: Wenn wir mit etwas Neuem konfrontiert werden, versuchen wir, das Neue in Kategorien einzuordnen, die uns bequem und vertraut erscheinen. Die religiösen Führer zur Zeit Jesu wollten Jesus nach ihren eigenen Vorstellungen und Erwartungen verstehen. Sie erkannten nicht (und auch wir begreifen dies heute oft nicht), dass es nur möglich ist, die wahre Identität Jesu zu verstehen, wenn wir unsere menschlichen Erwartungen beiseitelegen und uns von Jesu eigener Lehre über sein Leben und seine Mission leiten lassen.
Zu der Zeit, als Jesus predigte, gab es viele religiöse Menschen, die glaubten, dass Gott einen politischen König schicken würde, der eine Armee gegen die römischen Besatzer anführt. In gewisser Weise trafen die Erwartungen des Volkes zu: Jesus wird sein Volk tatsächlich befreien, aber weder durch militärische Eroberung noch politische Macht, sondern durch Leiden, Sterben und schließlich sein Auferstehen zu neuem Leben.

Monatsandacht Oktober 2021

... und lasst uns aufeinander achthaben
und einander anspornen
zur Liebe
und zu guten Werken ...
Hebräer 10,24

Was ist noch zu tun, wenn schon alles getan ist?

Der Versuch, Gott durch Opfer gnädig zu stimmen, muss kläglich scheitern. Auf dieses Dilemma wird im zehnten Kapitel des Hebräerbriefes hingewiesen: Das Opferritual, das eigentlich eine entlastende Wirkung haben soll, wirkt eher belastend. Mit jedem Opfer werden die Betroffenen an ihre Sünden erinnert. Einmal jährlich zu bestimmten Festen oder je nach Anlass. Wer opfert, bleibt in der Rolle der Sünderin, des Sünders. Der Blick ist auf das eigene Scheitern und Versagen gerichtet. Mit dem Opfer wird die Last nicht von den Schultern genommen, im Gegenteil sie wird erschwert. Das ist anstrengend und lohnt sich nicht. Der Mensch bleibt unfrei und auf sich selbst fixiert. In sich verkrümmt, sagt Luther. Der Hebräerbrief erinnert die Angesprochenen daran, dass ihr Fokus sich völlig verschoben hat. Die Anstrengung ist zugunsten der Freude gewichen. Eine neue ungekannte Leichtigkeit

Monatsandacht Mai 2021

Öffne deinen Mund für die Stummen,
für das Recht aller Schwachen!
Sprüche 31,8 (Einheitsübersetzung)

 „Mir fehlen die Worte…“.
Solche oder ähnliche Sätze stammeln wir, wenn wir hilflos das Unglück anderer mitansehen müssen.
Es gibt eine angemessene Sprachlosigkeit, ein solidarisches Schweigen, das das Floskelhafte fürchtet und offen zugibt, für das Unfassbare keine Worte zu haben.
Es gibt aber auch das andere Stummsein, das unsolidarische (Ver)Schweigen, wenn man aus Angst, selbst zum Opfer zu werden wegschaut. Oder wenn man eben aus sicherer Distanz genau hinschaut, aber nichts sagt, nicht eingreift und so tut, als sei man gar nicht beteiligt.
So leicht es fällt, die „Gaffer“ zu verurteilen, so schwer ist es doch, den entscheidenden Augenblick zu erkennen, in dem es darauf ankommt, selbst den Mund aufzutun.

Für die Hilflosen und Schwachen einzustehen war im Alten Israel wie im gesamten Alten Orient ein verbreiteter Appell. Götter (Psalm 82), Könige (Psalm 72,1-4) und einfache Bürger (5. Mose 15,11; Hiob 29,12-17) wurden dazu immer wieder ermahnt. In der Realität wurden die Armen jedoch allzu oft sich selbst überlassen. Gründe für das Schweigen fanden sich schnell (siehe Exodus 4,11).

Monatsandacht Dezember 2019

Wer im Dunkeln lebt und wem kein Licht leuchtet,
der vertraue auf den Namen des Herrn
und verlasse sich auf seinen Gott.
Jesaja 50,10

Der Dezember ist der dunkelste Monat im Jahr. Es ist Nacht, wenn wir morgens aus dem Haus gehen und auch, wenn wir spätnachmittags nach Hause